Die Reise des kleinen Wassertropfens

Es war einmal ein kleiner Wassertropfen, der in den Tiefen eines stillen Sees ruhte. Inmitten zahlloser Tropfen war er unscheinbar, doch in ihm lebte ein leises Verlangen, die Welt über das Wasser hinaus zu erkunden. Eines Morgens, als die ersten Strahlen der Sonne den See küssten, spürte der Tropfen eine sanfte Wärme, die ihn sanft nach oben zog. Mit einer Bewegung, die so leicht war wie ein Flüstern, erhob er sich und wurde Teil des Nebels, der vom See aufstieg.

Der Tropfen schwebte hoch über dem Wasser, getragen vom Wind, in das endlose Blau des Himmels. Zum ersten Mal sah er die Welt von oben – die Wälder, die Flüsse, die Berge. Der Wind trug ihn immer weiter, und bald verschwand der See, seine Heimat, hinter dem Horizont. Der Tropfen verspürte eine Mischung aus Freude und Sehnsucht, doch er wusste, dass diese Reise ihn an Orte führen würde, die er sich zuvor nie hätte vorstellen können.

Während der Tropfen schwebte, veränderte sich sein Wesen. Er wurde leichter, durchsichtiger, und doch fühlte er, wie sein Inneres sich füllte – mit den Farben der Welt, den goldenen Strahlen des Sonnenlichts und der stillen Weisheit des Himmels. In der unendlichen Weite des Himmels kam der Tropfen zur Ruhe, und in dieser Stille begann er, sich selbst zu erkennen. Er war nicht nur Wasser. Er war Licht, Erinnerung und die Sehnsucht nach Rückkehr.

Schliesslich verdichtete er sich wieder und begann den Rückweg zur Erde. Mit einem sanften Regen fiel er herab, in einen rauschenden Wald, auf die Blätter der Bäume und in die stille Erde. Der Tropfen wurde zu einem Teil des Bodens, sickerte tief hinab und verschwand wieder in die Wurzeln der Bäume und ins Erdreich.

Doch in dieser Rückkehr, die scheinbar ein Ende war, fand der Tropfen eine neue Wahrheit: Er war noch immer er selbst, und doch mit allem um ihn herum verbunden. Er war die Quelle und der Fluss, der Nebel und der Regen. Jede Reise, jede Trennung hatte ihn zu seinem Ursprung zurückgebracht, bereichert und verändert. In ihm lebte nun die Gewissheit, dass alle Reisen im Aussen ihn tiefer zu sich selbst führten.

Die Geschichte des Tropfens ist die Geschichte des Lebens – eine Reise, die uns in die Weite hinausführt, nur um uns zu zeigen, dass die tiefste Erkenntnis immer in uns liegt.

Herzlichst, Ramona